Ich freue mich über jede Diskussion des Problems, das Griechenland mit seinen Finanzen hat. Jedoch fällt mir immer wieder auf, dass in den deutschen Medien eine äußerst einseitige Betrachtungsweise vorherrscht. So schreibt ein Journalist von Getriebenen und meint damit die Euro-Partner. Dabei ist es doch Griechenland, das in den letzten Jahren von der Troika getrieben wurde – und zwar in die Rezession. Eine Rezession von einem Ausmaß wie damals die Große Depression in den USA.
Ein anderer Journalist beklagt über den griechischen Finanzminister, dass er die Währungsunion nicht als gemeinsame Veranstaltung begreifen möchte. Doch gerade wenn man die Währungsunion als gemeinsame Veranstaltung begreift, muss man auch die Verantwortung Deutschlands mit in Betracht ziehen. Diese wird jedoch immer ausgeblendet.
So schreiben diverse Journalisten, dass sich Athen weiter einem Kompromiss verweigert. Dabei ist es doch eher Deutschland, das keine Handbreit von seiner Politik abgehen möchte, egal wie sehr man darüber im Rest der Welt den Kopf schüttelt. Man sollte an dieser Stelle auch nicht vergessen, dass der neue griechische Finanzminister ein angesehener Professor für Wirtschaft ist, der sich mit diesem Themenkomplex schon seit Jahren beschäftigt hat. Erwähnt wird dies freilich selten. (Exkurs 1 s.u.)
Die deutsche Politik folgt immer noch der Logik: weniger Staatsausgaben plus weniger private Ausgaben gleich mehr Einnahmen für Unternehmen. Doch nicht nur in der Mathematik ergibt Minus plus Minus lediglich ein größeres Minus.
Finanzminister Schäuble sieht vor allem drei große Probleme in Griechenland:
Erstens möchte Athen die geliehenen Gelder nicht zurückzahlen. Für mich ist das kein Wunder, gingen mehr als drei Viertel der geliehenen Gelder ohnehin zu den Banken der Länder, die das Geld geliehen haben. Jetzt aber, da die europäischen Banken kaum noch Gelder in Griechenland haben, wird man knauserig.
Zweitens die sogenannten Reformen. Für Schäuble heißt das in Griechenland weniger Ausgaben des Staates, weniger Renten, weniger Arbeitslosengeld usw. Wenn als Ergebnis Selbstmordraten und Kindersterblichkeit in die Höhe schießen ist das eben – um das Lieblingswort der Kanzlerin zu bemühen – alternativlos.
Ist das wirklich so? In Deutschland hat man nach der Krise das Gegenteil gemacht und Staatsgelder in die Wirtschaft gesteckt: Abwrackprämie und die Verlängerung des Kurzarbeitergeldes sind nur zwei Beispiele. Also genau das Gegenteil von dem, was Schäuble in Griechenland für unumgänglich hält.
Drittens das Außenhandelsgleichgewicht. Hier stand und steht Griechenland tatsächlich nicht sonderlich gut da. Aber gerade dieses Gleichgewicht ist eine Sache, die man als gemeinsame Veranstaltung begreifen muss. Denn zum Teil liegt das griechische Problem mit dem Außenhandelsgleichgewicht auch an Deutschland.
Vor ein paar Tagen erst wurde ein neuer Rekord festgestellt: Der Außenhandelsüberschuss Deutschlands ist auf über 7 % des Bruttoinlandsproduktes gestiegen. Ab 4 % Defizit spricht man von einer schweren Störung des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts. (Exkurs 2: Verhältnisse) Griechenland schwankt um diesen Wert herum. In Deutschland dagegen scheint sich niemand daran zu stören, dass wir diese schwere Störung noch deutlich überbieten. Wir freuen uns darüber, statt etwas gegen diese Verschuldung zu unternehmen. Das kann man kurzsichtig-egoistisch nennen oder dumm – weitsichtig, nachhaltig oder gesundes Wirtschaften aber auf keinen Fall.
Im Übrigen erstaunt es mich, dass gerade ein Finanzminister einer sich selbst christlich nennenden Partei so hart auf der (ohnehin inzwischen unmöglichen) plangenauen Rückzahlung der Schulden besteht. Vielleicht sollte er mal in der Bibel lesen (Exkurs 3: Bibel) oder einen Gottesdienst besuchen. Dann wird er vielleicht an folgende wichtige Zeile aus dem Vater Unser erinnert:
„Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“
Exkurs 1: Valve (aka Steam):
Gianis Varoufakis hat auch für Valve gearbeitet. Viele Computerspieler wissen, dass Valve durchaus etwas von Geld versteht. Gabe Nevell hat ihn mit folgendem Text angeschrieben: “I have been following your blog for a while… Here at my company we were discussing an issue of linking economies in two virtual environments (creating a shared currency), and wrestling with some of the thornier problems of balance of payments, when it occurred to me “this is Germany and Greece”
Das war 2009.
http://blogs.valvesoftware.com/category/economics/
Exkurs 2: Verhältnisse:
Diese 7% des BIP sind zufällig ziemlich genau die Summe, die Griechenland schuldet. Wenn wir also ein Jahr lang den Griechen das gäben, was wir produzieren ohne es selbst zu (ver)brauchen, wäre Griechenland schuldenfrei. Da Deutschland aber nur für einen Teil der Schulden bürgt, wären das eher 4-5 Monate.
Oder anders betrachtet: Wenn alle Nationen auf der Welt das gleiche BIP pro Kopf hätten, bräuchte es 140 Millionen sich bis zur 4%-Grenze verschuldende Menschen, um Deutschlands Exportüberschuss aufzufangen. Da der Großteil der Welt aber ein geringeres BIP hat, dürften es eher 240 Millionen Menschen sein, die sich bei uns bis an die Grenze verschulden. Sind wir nicht nett, dass wir das erlauben?
Exkurs 3: Bibel: Ich möchte hier gar nicht über Nächstenliebe reden, sondern nur einwerfen, dass sich ein Großteil der Bibel um Schuld und Schuldknechtschaft dreht – und vor allem um den Erlass der Schulden. In früheren Zeiten war es nämlich üblich, dass Schulden regelmäßig erlassen wurden, zum Beispiel bei einer Thronbesteigung oder nach einer schlimmen Missernte.
Eine schlimme Missernte führte nämlich dazu, dass sich sehr viele Bauern verschuldeten, oft über ihre Fähigkeiten hinaus, die Schulden zurück zu zahlen. Sie mussten als Schuldknechte für die Gläubiger arbeiten.
Damit die Gesellschaft nicht zusammenbrach (wie es zum Teil schon in Griechenland passiert ist), wurden die Schulden erlassen und die Bauern aus der Schuldknechtschaft befreit.
Im geschichtlich geschriebenen Buch Nehemia kann man diesen aus Babylon stammenden Brauch und seine Gründe gut verfolgen. Nehemia ist es auch, der das Gesetz vom Sabbatjahr einführt: Im siebten Jahr sollen alle Schulden erlassen werden, die Schuldknechte frei kommen.
Die gegenwärtigen Probleme Griechenlands entstanden in der Wirtschaftskrise 2008. Plus 7 Jahre macht… Überraschung! 2015 – Zeit für ein Sabbatjahr.