Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht. So lautet ein altes Sprichwort. Dass ihr niemand mehr glaubt, ist nicht das Problem der jungen Mutter Kristina Kudoyan. Ja, sie hat gelogen. Im Jahr 2003, als sie mit ihrem Mann aus Georgien nach Deutschland floh. Die beiden gehören der Minderheit der Jesiden an. Die Jesiden werden in Georgien stark benachteiligt – genauso wie im Irak, dem Land, das sie als ihre Herkunft angaben, als Kristina und ihr Mann nach Deutschland kamen. Der Mann versprach sich davon eine höhere Chance, bleiben zu dürfen.
Die Jesiden sind eine streng patriarchalische Glaubensrichtung. Auf seine Veranlassung hin hat seine Frau die falsche Herkunft angegeben. Dann, als ihr Mann starb, korrigierte Kristina dies. Diese nachträgliche Ehrlichkeit wird ihr jetzt vielleicht zum Verhängnis. Sie soll abgeschoben werden. Bald wird die Härtefall-Kommission darüber entscheiden.
Kristina, die gegen den Willen ihres Mannes heimlich Deutsch gelernt hat, hat inzwischen zwei Töchter. Alle drei würden (übrigends egal ob in Georgien oder im Irak) nach einer Abschiebung vor einer persönlichen Katastrophe stehen.
Ich bin kein Freund von Lügen, und auch wenn so einige Lügen als sozialer Schmierstoff nötig sind, macht sie das nicht schön. Ich kann auch gut verstehen, dass Asylbewerber wahrheitsgemäße Angaben machen müssen. Aber rechtfertigt dies die Abschiebung?
Hierbei gibt es zwei Dinge zu berücksichtigen. Zuerst die allgemeine Politik. Deutschland zittert vor der demographischen Entwicklung. Hier haben wir nun eine junge Frau mit zwei Kindern, die ihre Integrationswilligkeit bereits deutlich gezeigt hat. Eigentlich sollte man sich da doch freuen.
Als zweites zu betrachten ist die persönliche Situation. Man kann davon ausgehen, dass die Frau nur auf Druck ihres Mannes gelogen hat. Zudem hat sie die Wahrheit selbst ans Licht gebracht. Der Begriff „mildernde Umstände“ ist hier wohl angebracht.
Als wichtigsten Punkt betrachte ich aber die beiden Kinder. Beide sind in Deutschland geboren, waren noch nie in Georgien und sprechen die dortige Sprache nicht. Sie hätten dort erhebliche Nachteile. Ein Abschiebung würde vor allem diese beiden Kinder bestrafen. Und das für eine Lüge, die von jemand anderem vor ihrer Geburt getan wurde. In anderen Worten: es gibt keinen Grund für die Abschiebung der Kinder.
Theoretisch könnte man jetzt die Mutter abschieben und die Kinder hierlassen. Dass das den Kindern auch schaden würde, muss ich wohl nicht erst ausführen.
Da man die Kinder eigentlich gar nicht abschieben darf, die Abschiebung der Mutter diesen aber schaden würde, bleibt aus moralischer Sicht gar keine andere Wahl, als die Mutter eben nicht abzuschieben. Alles andere wäre die Bestrafung von Unschuldigen wegen etwas, das in der individuellen Situation nur eine Kleinigkeit ist.
Wir werden sehen, wie die Härtefall-Kommission und danach Innenminister Stahlknecht entscheiden werden.
btw: In der Kommission sitzen „Vertreter von Ministerien, Kommunen und der Kirche“ (MZ) Warum sind Kirchenvertreter dort drin? Von welcher Kirche überhaupt? Geht das auf irgendeine historische Einrichtung als Folge einer „moralischen Rolle“ der Kirche zurück? Warum sitzt da nicht z.B. jemand von Amnesty International dabei?
Entscheidet der oder die Kirchenvertreter eientlich auf der Basis der Religion der Asylbewerber? Erhalten die Kirchenvertreter eine Vergütung für ihre Mitgliedschaft in der Kommission? Wie verträgt sich die Anwesenheit der Kirchenvertreter mit der Trennung von Kirche und Staat?
Quelle: MZ
Ein Kommentar zu Lügen und Asyl – eine Leidensgeschichte?