Die meisten kennen den Begriff „Commons“ wohl in Zusammenhang mit den Lizenzen der „Creative Commons“.
Aber eigentlich bedeutet er viel mehr als das.
Vielleicht Allmende?
Nein, auch wenn dies eng mit dem (englischen) Ursprung des Wortes zu tun hat und zur bekannten Arbeit von Garrett Hardin, der Tragik der Allmende geführt hat (eigentlich eine Tragik der unverwalteten Allmende).
Erst in neuerer Zeit hat sich die Sicht auf die Commons geändert. Verantwortlich dafür ist unter anderem Elinor Ostrom, die dafür 2009 als erste Frau den Wirtschaftsnobelpreis bekommen hat. Bekannt wurde sie 1990 für ihr Werk Governing the Commons: The Evolution of Institutions for Collective Action
Einen Überblick über die physische Bedeutung von Commons gewinnt man vielleicht mit dieser Übersicht, vor allem aber sind Commons soziale Organisation, in die Mitglieder über ein Commons-Gut eine Übereinkunft zur Nutzung getroffen haben.
Solche Güter findet man häufiger, als man im ersten Moment annehmen könnte. Doch die Abgrenzung ist schwer. Ist Car-Sharing eine Erscheinung eines Commons? Ein Auto wird ja gemeinsam genutzt.
Tatsächlich kann Car-Sharing ein Commons sein oder auch nicht. Wenn ein Unternehmen Autos verleiht und Gewinn macht, dann eher nicht. Hier ist es eine privatwirtschaftliche Initiative. Wenn zehn Menschen sich ein Auto teilen und gemeinsam Regeln dafür geschaffen haben, dann ist es ein Commons-Gut.
Wie man an diesem einfachen Beispiel erkennen kann, materialisiert sich ein Commons hauptsächlich über die soziale Beziehung. Fast alle Ressourcen kann man als Commons verwalten. Diese Struktur bildet damit einen dritten Weg zum (angeblichen?) Gegensatz von „Staat“ und „Privatwirtschaft“. Vor allem aber bieten Commons die Möglichkeit, Unternutzung (durch künstliche Verknappung zur Kommerzialisierung) zu verhindern.
Vor kurzem wurde von Silke Helfrich (u.a. Commonsblog) in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Böll-Stiftung ein Buch herausgegeben, das 90 Beiträge von verschiedenen Autoren zum Thema Commons sammelt. Man kann es dort verlinkt beim Verlag kaufen oder unter einer CC-Lizenz (Punkt Open Access) herunterladen. (Amazon-Link)
Ich werde in Zukunft (für die Lesefaulen 😉 die Beiträge zusammenfassen und ggf. kommentieren und Verbindungen zu den Piraten ziehen. Viel Spaß damit!
Doch zuerst gibt es als Dreingabe noch ein Interview mit der Herausgeberin und Commons-Aktivistin Silke Helfrich.
Silke, du bist einer der bekanntesten Verbreiterinnen der Commons-Idee in Deutschland. Wie bist du dazu gekommen?
2004 haben wir in Mexiko das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung aufgebaut und monatelang auf einer Baustelle gearbeitet. Eines Vormittags saßen wir mit Silvia Ribeiro von der ETC-Gruppe im Korridor jenes baustaubigen Hauses, das unser Büro werden sollte. Sie erzählte von der allgegenwärtigen „enclosure of the commons“. „Enclosure“? Was bitte? Und noch dazu allgegenwärtig! Ich hatte von diesem Allgegenwärtigen noch nichts gehört – wie peinlich. Also begann ich zu lesen. Zwei Jahre später haben wir – ebenfalls in der mexikanischen Hauptstadt – eine internationale Konferenz ausgerichtet. Wie üblich war die grüne Szene eingeladen, Leute aus ganz Lateinameríka, aus Europa, den USA. Leute, die für Zugang zu Land und Wasser oder für den Erhalt der Biodiversität eintreten. Am Schluss der Konferenz stand der Redebeitrag einer Argentinierin, Beatriz Busaniche, aus der Freie Software Szene. Ich fand das faszinierend. Beatriz hatte zwei Tage lang zugehört und ihr wurde klar, dass mit Softwarecode das gleiche geschieht wie mit Land oder unseren Genen. Er wird „eingehegt“. Mit der Frage: „Für wen arbeitet Ihr Computer?“ … hat sie einer Szene, die von freier Kultur, freiem Wissen und freier Software so gut wie nichts wusste im Handumdrehen erklärt, wie diese „Einhegung“ (die enclosure) in der IT- und Kommunikationsbranche funktioniert.
Da habe ich verstanden, dass wir viel von der Freien Software Bewegung lernen können – damals ahnte ich noch nicht wie viel. Aber dasselbe gilt auch umgekehrt. Die freie Software- und Kultur-Bewegung kann viel von den Leuten lernen, die unsere natürlichen Lebensgrundlagen verteidigen.
Die Diskussion um die Commons bringt das alles zusammen. Das ist unglaublich inspirierend.
In deinem neuesten Buch sind 90 verschiedene Beiträge. 90 Autoren, die ihre Gedanken unter einer freien Lizenz allen zur Verfügung stellen. Zudem ist das Buch von vorn herein als kostenlose pdf erhältlich. Manche würden sagen, das sei geschäftlicher Wahnsinn. Andere schwören auf die Werbekraft der pdf. Was denkst du?
Na dass es nicht um Werbung geht…
Sondern?
Um die Verbreitung unserer Ideen! Es ist eine großartige Sache, dass wir dafür das Internet nutzen können. Sicher müssen wir auch die Kosten wieder einspielen – aber derzeit scheint es so zu sein scheint, dass sich Bücher, die frei im Internet verfügbar sind, auch besser verkaufen.
War das Geld überhaupt ein wichtiger Punkt in deinen Überlegungen?
Nein und Ja.
Nein, weil man mit solch einem Projekt etwas ganz anderes verbindet als den Gedanken ans Geldverdienen. Das werden wohl alle bestätigen, die solche Bücher machen. Ich habe mir eher überlegt: Geht das Konzept auf? Unterstützen uns die AutorInnen? (Das haben sie. Und wie!) Sind die Abgabetermine zu halten…? Und ich habe mir darüber Gedanken gemacht, ob wir die richtigen Kooperationspartner finden. Zum Beispiel einen Verlag, der es uns ermöglicht, mit freier Lizenz zu publizieren.
Ja, weil die Frage ist, wie man solch ein Projekt vorfinanziert. Also wer zahlt die Arbeit? Wer zahlt das Lektorat, Übersetzungen, den Satz … die Druckkosten?
Wir haben eine richtig gute Konstellation gefunden: Viele Autorinnen und Autoren, die ihre Ideen einbringen und verschenken, eine Stiftung, die den Entstehungsprozess unterstützt und selbst politisch trägt und einen Verlag, der absolut fair ist und Mut hat für Neues. Grossartig.
Und das alles unter einer CC-by-sa Lizenz.
Wird es die bei zukünftigen Büchern auch geben?
Ja, davon gehe ich aus.
Wir können ja zeigen, dass es funktioniert. Also haben wir das nächste Mal noch stärkere Argumente.
Im übrigen glaube ich, dass ein Buch, in dem es um Commons geht, gar nicht anders veröffentlicht werden kann als unter einer freien Lizenz. Das ist eine Frage der Kohärenz.
Im Commons-Buch sind zahlreiche Zitate. Du hattest auf deinem Blog www.commonsblog.de um Zitate gebeten, die dir die Leser dann vorgeschlagen haben. Ich freue mich besonders, dass es zwei meiner Lieblingszitate gar zu Kapitel“Überschriften“ geschafft haben. Kannst du dir vorstellen ein Buch herauszugeben, dass nur von den Menschen aus deinem Blog geschrieben wurde?
Superidee! Es sind so viele Geschichten zu erzählen. Wir haben ja noch gar nicht richtig angefangen.
Allerdings finde ich die Internationalität des soeben erschienenen Bandes charmant. Und das nächste Buch sollte nicht minder international sein… deshalb werde ich wohl wieder ein ähnliches Konzept fahren. Aber daneben könnten wir schon diese Commonsblog-Leser-Schreiben-ein-gemeinsames-Commonsbuch-Sache machen. 🙂
Kommen wir zum Thema selbst: Worin siehst du den größten Vorteil der Commons?
Darin, dass sie von unten getragen und damit eng an die soziale Praxis angelehnt sind; also an das, was wirklich passiert und nicht an das, was man gerne hätte. Darin, dass sie von Menschen getragen werden so wie sie sind, und nicht von Menschen wie wir sie gerne hätten.
Und schließlich darin, dass sie so ermutigend sind. Wir gestalten die Welt. Wir können unser Leben in die eigenen Hände nehmen und dabei von einem anderen Menschenbild ausgehen als jenem des „homo oeconomicus“ und von einem anderem Versprechen als dem, dass jeder seines eigenen Glückes Schmied sei.
Commons können etwas, was der Staat nicht kann: dem Markt ein Schnäppchen schlagen. Sie brauchen ihn nicht.
Welche Kritik an Commons begegnet dir häufiger?
Dass sie nur für kleine, überschaubare Gemeinschaften taugen und sich nicht „upscalen“ ließen.
Und dass sie die Machtverhältnisse nicht in Frage stellen würden.
Und stimmt das?
Das glaube ich nicht.
Zum ersten Punkt: Commons sind ja keine Sachen, keine Dinge oder Ressourcen – wie Wasser, Wald oder Code. Sondern sie sind eine spezifische Art, mit diesen Dingen umzugehen; sie als das uns Gemeinsame zu betrachten. Und sie sind auch eine Art zu denken. Aus diesem Denken kann man Handlungs- und Gestaltungsprinzipien destillieren, die auf alle Ebenen übertragen werden können.
Ein Beispiel. Wenn ich überhaupt nicht erst auf die Idee komme, dass man die Atmosphäre als Gemeinsames Erbe der Menschheit betrachten kann, wenn ich CO2 – Emissionen immer nur als Produkt und potentielle Handelsware ansehe, dann fällt mir eben nur der Emissionsrechtehandel ein und nicht der Budgetansatz des WBGU oder das cap&share Konzept, wie es von Nichtregierungsorganisationen entwickelt wurde… oder gar sowas wie: Das Öl im Boden lassen (Yasuni-ITT)
Der Gedanke der commons ist auf jede Ebene übertragbar! Die institutionelle Absicherung ist kompliziert. Klar. Aber das ist nichts Neues. Die Frage ist doch, ob wir Commons „upscalen“ wollen. Und damit sind wir beim zweiten Punkt…
Ich glaube letztlich: Commons entstehen im Tun und das Tun ändert die Machtverhältnisse effizienter als jede Strategie, die sich anschickt, die Machtverhältnisse zu verändern.
Wie siehst du derzeit die Zukunft der Commons? Ich habe manchmal das Gefühl, es geht ständig einen Schritt vor und einen zurück.
Ist so. Wie im richtigen Leben. So what?
Aber Commons sind noch dazu oft schwer zu erklären. Woran liegt das und wie kann man das verbessern?
Indem wir mehr Geschichten erzählen, in denen das Denken in Commonskategorien ganz plastisch wird. Und ansonsten: Künstler an Bord!
Was hast du so für den Rest des Jahres vor? Noch ein Buch, Vorträge oder Urlaub?
… also derzeit bin ich mit ein paar internationalen Projekten und allerhand Kommunikation rund um das Buch viel zu beschäftigt, als das ich mir über den Rest des Jahres schon Gedanken machen würde. Ich mache früh die Mailbox auf und da ist immer jede Menge Arbeit drin.
Worauf ich mich aber sehr freue, das ist unsere 1. Deutschsprachige Commons-Sommerschule Ende Juni. Dort wird viel Neues entstehen.
Na und dann habe ich mir auf dem Rechner einen Ordner angelegt, in dem jetzt schon die Ideen für den nächsten Band landen. 🙂
Ich bin ja ein Pirat. Was würdest du der Piratenpartei in Bezug auf die Commons empfehlen?
…. dass sie auf ihrer programmatischen Schatzsuche nachhaltig in Commonsgewässern fischen.
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Dieser Beitrag steht unter einer CC-by-sa-Lizenz