Ein Stück weiter in das Buch hinein wird mein Eindruck zum größten Teil bestätigt. T.S. legt einen Haufen Zahlen und Statistiken vor, zieht daraus immer den gleichen Schluss – und hört dann auf. Seine Thesen werden von ihm weder hinterfragt, überprüft, noch andere Ursachen in Betracht gezogen. Immer bleibt es beim ersten Schritt: Zahlen ansehen und Hypothese aufstellen. Zugleich behauptet er – ein Beispiel von vielen – dass bestimmte Messwerte ursächlich nichts mit dem Einkommen zu tun haben.
Soweit (größtenteils) richtig. Aber der Gedanke, dass die Veränderung der Messwerte die selbe Ursache haben könnte wie ein niedriges Einkommen, der kommt ihm regelmäßig nicht. Auch hier Oberflächlichkeit und Verharren auf dem vermeintlich Offensichtlichen.
Fett sein wird nicht (oder kaum) von wenig Geld begünstigt. Wenig Geld heißt aber meistens, dass die Person nicht arbeitet (Kalorien verbrennt) und sich z.B. ein Fitnesstudio nicht leisten kann. Und aus Frust, weil sie keine Arbeit und kein Geld hat, zusätzlich isst.
T.S. Weltbild wird offensichtlich ganz bestimmt von der Ansicht, dass solche Faktoren persönlich sind und gefälligst keinen Einfluss zu haben müssen. Ich glaube ihm jederzeit, dass das auf ihn zutrifft. Aber auf einen großen Teil der Menschen trifft das eben nicht zu. Sie sind nicht so stark und selbstbewusst, und in der „Unterschicht“ lernt man das auch nicht. Darum sind Depressionen bei Hartz-4-Empfängern ja auch so wahnsinnig weit verbreitet. Aber eine solche Meinung tut T.S. als Ausrede ab. (Und ist offensichtlich sehr verbittert, dass diese „Ausrede“ ständig von allen Seiten wiederholt wird)
Dafür geht er hart ins Gericht mit jedem, der eine andere Meinung hat als er und zögert nicht, sie als überemotional zu bezeichnen oder ihnen vorzuwerfen: Selbstgerechtigkeit, Aussagen verbergen und ausweichen, niedermachen von Leuten mit anderen Meinungen (also z.B. ihn). Gleich danach beschuldigt er pauschal Arbeitslose, ihre einzige Motivation aus Geld zu ziehen und deshalb lieber schwarz zu arbeiten als sich anzustrengen und Arbeit zu finden – und überhaupt kriegt der Arbeitslose zu viel mit 700€, wenn die Verkäuferin netto 1200€ und der Arzt netto 2100€ kriegt. [Anm. LennStar: d.h.: Die Aussicht, das Einkommen zu verdoppeln oder zu verdreifachen reicht nicht als Arbeitsmotivation aus! Das wievielfache muss es denn sein?? Ich als Arbeitsloser würde mir überlegen: Ich bin z.B. 27. Ich kann noch 40 Jahre Hartz-4 kriegen und ständig angepisst, beschimpft und meine Privatsphäre verletzt kriegen – oder ich gehe als Arzt 20 Jahre arbeiten und lebe den Rest des Lebens ohne die Nachteile auf etwas höherem Niveau (was auf dem Niveau ein großer Unterschied ist, nämlich der zwischen der Frage „reichts noch diesen Monat“ und „ich habe überhaupt keine Geldsorgen“) mit mehr Sicherheit, Freude und Ansehen. Wieviele würden da ernsthaft den ersten Weg wählen?]
Ganz besonders deutlich wird T.S.’s nicht-Ursachen-Suche bei einem DDR-Beispiel: Praktisch ohne Zusammenhang (außer dass es um Arbeiterklassen-Bildung in der DDR ging) ist dieser Satz: „Intelligenzmessungen in der DDR zeigten, dass den durchschnittlich niedrigsten IQ die Studenten des Merxismus-Leninismus hatten.“
Da es wie gesagt reichlich zusammenhanglos fiel, kann ich nicht sagen, was T.S. damit überhaupt ausdrücken will – aber mit der Bildung der Arbeiterklasse hat das eher wenig zu tun. Dieses Ergebnis war der einfachen Tatsache geschuldet, dass man für dieses Studium hauptsächlich eines brauchte: Linientreue. Diese ist sowieso von sich aus intelligenzfeindlich. Ohne Nachzudenken nachplappern fällt intelligenten Leuten eben meist schwer. Aber natürlich spielt da auch die Überlegung der Betroffenen (auf Seite der Bestimmer und des Bestimmten) mit: Wir müssen die Quote X erfüllen, ein Ingeneur wird sowieso nicht aus dieser Person, also ab in die Politik, da fällt das nicht so auf, wenn er ein bisschen langsam ist. Mal etwas böse ausgedrückt.
Das war – laut einem meiner ehemaligen Lehrer – wie mit den Dachdeckern im Zementwerk. (Wer das jetzt nicht versteht, dem stelle ich eine kleine Frage zum Nachdenken: Wie oft muss in einer Fabrik mit – nach ein paar Monaten und Regengüssen – effektiv Betondächern ein Dachziegel ausgetauscht werden? Richtig: Entweder, ein solches Dach hält von allein oder man sollte es besser mit Dynamit abreißen und den Bau neu errichten.) Von denen hat auch keiner besonderen Arbeitseifer erwartet.